Norbert Höpfer – Der Mineraloge mit der Kelle

Norbert Höpfer kommt aus dem beschaulichen Weinfelder Tal im Süden Deutschlands, hat jedoch vor zehn Jahren seinen Lebensmittelpunkt nach Israel verlegt und saniert dort Bauhaus-Häuser. Im Interview erzählt er, wie er dazu kam und vor welche Herausforderungen ihn die siebzig Jahre alten Häuser stellen.
Herr Höpfer, Sie gelten als der Schwabe, der die Bauhaus-Häuser in Tel Aviv restauriert. Erzählen Sie mir davon!

Von Natur aus bin ich Mineraloge und promovierter Geologe. Zum Kalkputz bin ich gekommen, weil ich selbst in einem alten Haus wohnte und wir ein Schimmelproblem hatte. Da habe zum ersten Mal angefangen, mit natürlichen Baumaterialien zu experimentieren, um unser Haus zu renovieren und habe meine ersten Produkte gegen Schimmel entwickelt. Das war vor etwa 22 Jahren und hat mein Leben komplett verändert. Schnell habe ich festgestellt, dass es bei der Herstellung von Kalkputzen Überschneidungen mit der Bausanierung gibt.

Wie sind Sie dann ausgerechnet auf die Bauhaus-Häuser in Tel-Aviv gekommen?

Es gab in meinem Leben einige Landstriche, die ich gerne mal sehen wollte, dazu gehörten unter anderem die Philippinen, Kanada, Norwegen – und eben auch Israel. Mein Interesse an diesem Land hatte sowohl religiöse als auch kulturelle Hintergründe. Ich meine, dort liegt immerhin der tiefste Punkt der Erde!

Vor zehn Jahren hat mich eine Frau ausfindig gemacht, die aus Israel stammte, nun aber in Berlin wohnt. Mit ihr zusammen habe ich zwei Häuser saniert. Davon hat wiederum ihr Vater erfahren. Er war so begeistert von meiner Arbeit, dass er mich fortan zwei Mal die Woche angerufen hat und mich nach Israel gebeten hat. Es hat nicht lange gedauert, und ich bin seiner Bitte gefolgt. Bei meinem zweiten Besuch in Israel habe ich meine heutige Lebensgefährtin kennengelernt und bin kurzerhand dort geblieben. Tja, und dann schaut man sich eben um: Was mach ich jetzt da?

Und dann sind Sie auf die Bauhäuser gestoßen…

Angefangen hat es eigentlich mit den Templerhäusern. Das ist ein Viertel, heute Sarona genannt, in dem sich ein paar schwäbische Familien von Altpietisten niedergelassen hatten. Die Häuser, die sie bewohnten, waren keine Bauhaus-Häuser, sondern Häuser in einem Stil, den man heute „eclectic“ nennt, weil er mehrere Stile in einem vereint. Sie lassen sich dem Neoklassizismus zuordnen, aber es finden sich auch Anklänge des Jugendstils darin: Viele schmückende Ornamente, Gesimse, all sowas. Hier habe ich gelernt, Negative für Betongussteile zu bauen oder Betongesimse herzustellen.

All das brauchte ich dann später bei den Bauhäusern nicht mehr…

Nein?

Bauhaus-Häuser verzichten komplett auf schmückendes Beiwerk und fokussieren sich ausschließlich auf die Funktion. Beim Bauhaus – sage ich immer – hat man angefangen, mit der Wand zu spielen. Fast alle Bauhaus-Häuser haben einen Balkon, der quasi die Hausfassade bildet. Was ist nun hier die Außenwand? Das Balkongeländer? Oder eher die Balkonrückwand? Früher wäre man nie auf die Idee gekommen, eine Hausecke zu destabilisieren. Jetzt, wo man gelernt hatte, auf den Beton zu vertrauen, auf die Wand zu vertrauen, konnte man es sich leisten, einen Balkon auch um die Hausecke herum weiterlaufen zu lassen – das destabilisiert so eine Hausecke total! Normalerweise orientiert man sich beim Bau eines Hauses am Klima: Raumhöhe, Raumaufteilung, Fassade, Fenster – alles wird nach dem vorherrschenden Klima ausgerichtet. Das hat mit dem Bauhaus komplett aufgehört! Es wurden aber auch ganz bewusst Fehler gemacht.

Wie ist das zu verstehen?

Nun, normalerweise bestanden Fenster früher aus zwei Flügeln und einem Oberlicht. Das Oberlicht endete in einem Gesims. Das hat Druck vom Fenster genommen. Die Fenster waren schmal und hoch. Warum? Die Räume waren schlicht hoch und man wollte es innen schön hell haben. Schmale Fenster gaben der Wand Stabilität. Und was hat man beim Bauhaus gemacht? Man hat die Fenster um 90 Grad gedreht und mit Metall verkleidet! Metall! Die Architekten MÜSSEN gewusst haben, dass das in der kalten Jahreszeit dazu führt, dass im Zimmer Eiszapfen wachsen. Sie haben sich ganz bewusst an diesem neuartigen Baustoff ergötzt und einen technischen Fehler für ein bisschen Show-off in Kauf genommen.

Dass es überhaupt Bauhaus-Gebäude gibt, ist letztlich einem kurzen Zeitfenster um den zweiten Weltkrieg herum zu verdanken. Überall war Krieg, in Tel Aviv jedoch nicht. Auch die Flüchtlinge waren noch nicht so zahlreich. Und die, die es bis nach Tel Aviv geschafft hatten, verfügten womöglich auch über die nötigen Mittel, um bauen zu können. Da haben sich die Architekten so richtig austoben können!

Verrückt… Und vor welche Herausforderungen stellt Sie die Restaurierung der Bauhaus-Gebäude heute, siebzig Jahre später?

Den größten Schaden verursachen über die Jahre Wasser und Salz. Beton schützt das Stahlgerüst in seinem Innern eine gewisse Zeit lang sehr gut. Doch wenn Wasser und Salz am Beton arbeiten, vergrößert sich der Abstand zwischen Beton und Stahlträger mit der Zeit und der Stahl rostet. Das selbe Problem haben wir übrigens derzeit bei deutschen Autobahnbrücken. Die sind zwar jünger als die Bauhaus-Häuser in Tel Aviv, aber sie haben im Winter mehr Streusalz abbekommen. Dieser Schaden am Stahlträger und am angegriffenen Beton sorgt dafür, dass die Decken in einem Bauhaus teilweise nur noch wenige Zentimeter dick sind. Hier müssen wir ansetzen! Allerdings wissen wir bei den Naturmaterialien, die wir verwenden, manchmal selbst nicht, wie lange das hält. Manche Bauhaus-Gebäude haben wenige Jahre nach der Restaurierung schon wieder Risse.

Das ist überhaupt das Problem: Ganz viel Know-How ist innerhalb weniger Jahre verloren gegangen. 1 ½ Generationen von Handwerkern haben gereicht, um zum Beispiel zu vergessen, wie man eine Heißkalt-Putz hinbekommt, wie er in Tel Avivs Bauhaus-Gebäuden an ganz vielen Innenwänden zu finden ist.  Viel von diesem Wissen eignen wir uns heute wieder an. Da ist Israel Deutschland weit voraus! Wir machen alles in Handarbeit. In Deutschland wäre das unbezahlbar. Aber in Israel sind Arbeitskräfte billig: Ein Bauarbeiter bekommt 30 Schekel in der Stunde, das sind weniger als zehn Euro. Dabei ist das Leben in Israel teurer als in Deutschland – gerade in Tel Aviv.

Wie gehen Sie die Restaurierung eines solchen Hauses an?

Man kommt zu mir mit einem Problem. Dann ist alles, was ich brauche, zehn Minuten Zeit und ein Blatt Papier. In Windeseile schreibe ich ein Rezept für den Putz, den wir in diesem speziellen Fall verwenden sollten. Meine Richtlinie ist: Der Charakter des Hauses darf nicht verändert werden. Daran halte ich mich so gut es geht. Leider sind die Bauunternehmer nicht immer derselben Meinung. Einmal hatte ich zum Beispiel einen Putz angerührt, der dem ursprünglich verwendeten Putz sehr ähnlich sah. Stolz zeigte ich ihn dem Architekten. Der stimmte mir zwar zu, sagte aber lediglich: „Ja, aber mir gefällt er nicht!“ Das ist dann Architektenargumentation… Dabei sehen die alten Kalkanstriche meist viel schöner aus als neuartige Anstriche mit Fertigmörtel. Ein neuartiger Anstrich ist tot, ein alter hingegen nie; er ist ungleichmäßig und hat dadurch Charakter.

Ein gutes Rezept zu entwickeln, das durfte ich direkt auf der Baustelle lernen – also eigentlich im Paradies. Ich probiere aus, verbessere, perfektioniere. Die ersten zehn Meter einer Wand sehen dann vielleicht nicht so toll aus, aber nach zehn Metern weiß ich, wo es hingehen soll. Dann werden die ersten zehn Meter halt nochmal neu gearbeitet. Ich bin froh, dass ich hier unter Druck so tolle Rezepte selbst entwickeln durfte. Da war ich Feuer und Flamme und bin drangeblieben, bis das Rezept perfekt war. Und dann muss es übersetzt werden: Ich schreibe zunächst nur Anteile auf. Den Arbeitern muss ich dann alles in Maßeinheiten wie Eimer und manchmal auch Kaffeetassen umrechnen. Auch die Reihenfolge gebe ich ihnen vor. Und dem Bauleiter wiederum rechne ich seinen Verbrauch pro Kubikmeter vor, damit er auch etwas mit dem Rezept anfangen kann.

Gar nicht so einfach, die Verständigung auf dem Bau. Wie klappt das denn bei Ihnen so im Allgemeinen?

Beim Bau gibt es immer drei Welten: Die Welt des Baustoffs, die Welt der Arbeiter, die den Baustoff irgendwie an die Wand bringen müssen und die Welt der Planer, also der Bauunternehmer, Architekten und Financiers. Und zwischen diesen drei Welten gibt es immer Verständigungsschwierigkeiten! Ich verstehe mich als Mittelsmann. Die Architekten können mich oft nicht zuordnen, weil ich auch Arbeitsklamotten trage und mit der Kelle umgehen kann. Vor meinen Mitarbeiter verschaffe ich mir aber auf diese Weise Respekt. Ich arbeite auf dem Bau hauptsächlich mit Palästinensern aus der Westbank zusammen, dazu kommen ein paar Araber, ein paar Beduinen. Ich spreche schlecht hebräisch, aber ich spreche die Sprache der Handwerker trotzdem. Sagt Ihnen der Begriff Arab Powerplay etwas?

Nein…

Die Gesellschaft der Araber ist meiner Meinung nach letztlich eine Klassengesellschaft. In jedem Ort wird entschieden, wer hier das Sagen hat. Auf dem Bau kann es da schonmal zu Rangeleien kommen! Da nimmt mir einer den Hammer weg, dann nehme ich ihn mir zurück, man schlägert sich ein bisschen. Ich muss ihnen zeigen, dass ich kämpfen kann, dann akzeptieren sie mich. Andernfalls bin ich für immer unten durch. Und da ich derjenige bin, der ihnen etwas zeigen will, muss ich als Alphatier auftreten.

Mit den Bauleitern habe ich da schon mehr Schwierigkeiten. Die sehen häufig nur ihren eigenen Profit. Wenn ich dann an sie herantrete, weil die Arbeiter besseres Werkzeug brauchen, sehen sie ihren Gewinn schwinden und wollen nichts davon wissen.

Bauleiter haben einen sehr schlechten Ruf in Israel – meiner Meinung nach zurecht! Ich habe zum Beispiel einmal erlebt, dass es auf einer Baustelle durchs Dach reingeregnet hat, weil der Bauleiter nicht in der Lage war, es abzudichten. Einen ganzen Winter lang! Irgendwann habe ich zum Bauleiter gesagt: „Warum machen wir nicht gleich ein Schwimmbad im Keller? Da sparen wir eine Menge Geld!“

Welche Vorgaben gibt es zum Beispiel von der Stadt beim Thema Denkmalschutz? Die Bauhaus-Häuser wurden zwar von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt, doch von der UNESCO werden ja nun nicht direkt Vorgaben gemacht…

Oh doch! Wenn sich nicht die damalige Stadträtin dafür eingesetzt hätte, dass die Weiße Stadt zum Weltkulturerbe erklärt wird, würden die Häuser heute alle nach und nach verschwinden. Als ich vor zehn Jahren herkam, standen hier vielleicht fünf, höchstens sieben Hochhäuser. Heute hat sich diese Zahl mindestens vervierfacht! Ich erzähle den Israelis immer: Sogar in der Bibel gibt es bereits eine Geschichte, die heißt „Du sollst keine Hochhäuser bauen“ [gemeint ist die Geschichte vom Turmbau zu Babel; Anmerkung der Redakteurin]. Doch sie halten sich leider nicht daran…

Das Denkmalamt von Tel Aviv hat jedoch leider nur eine schützende Hand auf den Fassaden liegen. Sie müssen in Kauf nehmen, dass zur Erhaltung der Häuser meist noch ein Penthouse aufs Dach gebaut wird. 95% der Restaurierungen von Bauhäusern sind eine Investitionsanlage. Da kann es schonmal vorkommen, dass ein Bauleiter eine Vorgabe umgeht, wenn er kann, um so seinen Gewinn zu vergrößern.

Das Gute am Denkmalschutz in Tel Aviv ist aber natürlich: Ich bin mehr wie ausgebucht.

Vielen Dank für das Interview.