Zu Besuch im Bauhaus-Center

Am Freitag mache ich mich noch ohne Frühstück auf den Weg zum Bauhaus-Zentrum, schieße auf dem Weg dorthin noch ein paar Fotos von berühmten Bauhäusern und hole mir den obligatorischen Kaffee. Das Bauhaus-Zentrum ist klein, viel kleiner als ich es vermutet hätte bei dem imposanten Namen, und eigentlich mehr ein Laden als ein Informationszentrum. Im Innern werden Designertaschen und Kunstwerke von regionalen Künstlern verkauft. Nur im Untergeschoss finden sich meine inzwischen schon vertrauten Bauhaus-Häuser wieder, hängen auf großen Postern an der Wand und erzählen mir, wie sie im Laufe der Jahre restauriert wurden. „Das Ziel ist es nicht, 4000 Bauhaus-Gebäude zu renovieren“, klärt uns Schlumith Gross auf, die uns heute durch das Bauhaus-Viertel rund um den Dizengoff-Square führen wird. „1000 Häuser zu restaurieren – das ist das Ziel.“ Etwa 1000 Häuser sind es auch, die von der Unesco im Jahr 2003 zum Weltkulturerbe erklärt wurden. Es gibt drei verschiedene Kategorien: Häuser, die so einzigartig sind, dass sie weder in ihrem Aussehen noch in ihrer Beschaffenheit verändert werden dürfen. Diese müssen mit größter Sorgfalt restauriert werden. Als zweites Häuser, die zwar außergewöhnlich sind, in ähnlicher Form jedoch nochmals in Tel Aviv zu finden sind. Bei diesen Häusern ist es beispielsweise gestattet, einen Lift zu installieren oder sie um zwei Stockwerke aufzustocken. Und als letztes gibt es noch Häuser, die alle in sehr ähnlichem Stil erbaut wurden und daher keine Einzelstücke darstellen. Sie dürfen baulich bei der Restaurierung stark verändert werden.

Die Gründung Tel Avivs

Auch darüber hinaus weiß Frau Gross viel über die Geschichte Tel Avivs zu berichten. Ursprünglich ist die Stadt von Jaffa aus gewachsen, eine in früheren Zeiten sehr bedeutende Handels- (weil Hafen-)stadt, heute wirtschaftlich gesehen neben Haifa und eben Tel Aviv kaum noch von Bedeutung. Die dort ansässigen Arabern hatten sich mit den Juden der Stadt überworfen, woraufhin 27 Familien sich nördlich der Stadt, im heutigen Tel Aviv niederließen. Später, als die Gegend um Jaffa mehr zu mehr zu wachsen begann, beschloss man, in der Region Tel Avivs eine Gartenstadt anzulegen, also eine Art Naherholungsgebiet für die in Jaffa arbeitenden Menschen. Doch was als Stadt ohne Verkehr und mit viel Grünflächen angedacht war, wurde aus einer Not heraus eine boomende Wirtschaftsmetropole. Denn nach der Staatsgründung Israels kamen hier Tausende von Juden aus aller Welt an und ließen sich, sofern sie sich nicht gerade die heilige Stadt Jerusalem als Endziel ausgesucht hatten, direkt in Tel Aviv nieder. Die Stadt musste in rasendem Tempo größer werden und immer mehr Leute beherbergen, bald doppelt und dreifach so viele wie Anfang des Jahrhunderts bei ihrer Entstehung. Geld war jedoch kaum welches vorhanden, weswegen heute, 70 Jahre später, viele Gebäude schon wieder baufällig oder ganz zerstört sind. Zwar halfen die Pläne von Patrick Geddes und auch von Arieh Sharon (Link!), die Stadt recht strukturiert anzulegen, doch an der maroden Bausubstanz änderte auch der noch so durchdachte Stadtplan nichts.

Eine Stadt – am Reißbrett entstanden

Dies und noch viel mehr erklärt uns Frau Gross auf ihrer eineinhalb-stündigen Tour durch die ruhigen Straßenzüge in der Nähe des Bauhaus-Zentrums. Doch zuallererst macht sie uns auf einen gravierenden architektonischen Fehler der ganzen Stadt aufmerksam: Patrick Geddes, ein britischer Stadtplaner, hatte nach Gründung des Staates Israel einen kompletten Plan für die stark wachsende Stadt Tel Aviv entworfen. Dieser sah mehrere breite Straßen von Nord nach Süd mit Einkaufsmöglichkeiten und mehrspurigen Verkehrsspuren vor, und quer dazu verlaufend schmale Gassen mit wenig Verkehr. Doch Herr Geddes hatte wohl nie am Meer gewohnt. Er vergaß, dass auf diese Weise der vom Meer kommende Wind an den Häuserfronten abprallen würde und der Stadt die kühlende Wirkung versagen würde. Hätte er stattdessen die Straßen, die von Ost nach West verlaufen, breit angelegt, hätte die frische Meeresbrise die im Sommer glühende Stadt viel besser kühlen können.

Deutsche Fließen und Fenster

Interessanterweise wurde beim Bauen der Häuser während und kurz nach dem zweiten Weltkrieg gehäuft auf Baumaterialien aus Deutschland zurückgegriffen. Hitler hatte zu Beginn des Dritten Reichs mit den in Deutschland lebenden Juden einen Handel vereinbart: Sie durften Deutschland verlassen und nach Israel auswandern, jedoch kein Geld mitnehmen. Dieses sollten sie vor ihrer Auswanderung lieber in die deutsche Wirtschaft stecken, also investieren, statt es auf der Bank zu horten oder als Barvermögen mitzuführen. So kam es, dass die Auswanderer ihr Geld in Kacheln, Fließen, Fenster oder Armaturen steckten und so kommt es heute, dass man um so manches Eingangsportal eines Bauhauses einen Fliesenrahmen aus deutschen Keramikfliesen findet. Auch Villeroy & Boch-Waschbecken sind in den Bauhäusern zu finden. Heute sind die Bauhaus-Häuser fast unbezahlbar. Eine Million Dollar kostet eine Wohnung, schätzt Schlumith, die Monatsmiete beläuft sich auf 2000 Dollar. Das kann sich kaum ein Einwohner Tel Avivs leisten. Viele Bauhaus-Häuser gehören inzwischen den Reichsten der Reichen oder ausländischen Investoren.

Einwanderungsrecht

Auch über die Einwohner der Stadt weiß Schlumith so manches zu berichten. Einwandern darf jeder, der zumindest jüdische Großeltern hat – so lautet die Regel. Als Jude gilt hingegen nur, wer eine jüdische Mutter hatte oder konvertiert ist. So kommt es, dass in Tel Aviv viele Juden zweiter Generation leben, die selbst aber gar keine „richtigen“ Juden sind. Dies wird vor allem dann zum Problem, wenn ein Jude der zweiten Generation einen Juden heiraten möchte. In Israel gibt es keine Eheschließung vor dem Staat, sondern ausschließlich religiöse Hochzeiten. Wer also einen Juden oder eine Jüdin ehelichen will, muss entweder selbst konvertieren oder im Ausland heiraten und dann als Eheleute wieder einreisen – dann wird die Eheschließung vom Staat anerkannt.

Über die ganze Stadt verteilt

An der Tour durch die so genannte „Weiße Stadt“ nehmen etwa dreißig Leute teil, viele davon Deutsche. Auch Frau Gross spricht recht gut Deutsch, ist sie doch mit einem Schweizer verheiratet, wie sie mir erzählt. Die Tour findet jedoch auf Englisch statt. Strammen Schrittes lotst uns Schlumith kreuz und quer durch die weiß leuchtenden Gassen. Besser gesagt: durch die Gassen, die ehemals weiß leuchteten. Heute sind viele der Bauhaus-Häuser eher bräunlich oder beige, eine Folge der Nähe zum Meer. Die „Weiße Stadt“ – damit ist nicht etwa die Stadt Tel Aviv an sich gemeint, auch kein bestimmtes Stadtviertel. Vielmehr umfasst das von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärte Gebiet mehrere Stadtteile, die in ganz Tel Aviv verteilt sind. Einen detaillierten Stadtplan mit der genauen Lage der meisten Bauhaus-Bauten hat das Bauhaus-Zentrum vor ein paar Jahren veröffentlicht. Die meisten Bauhaus-Bauten sammeln sich rund um den so genannten Dizengoff Circle. Rund um den Circle erheben sich stolz die sechs größten und wohl auch die mit am besten erhaltenen Bauhäuser, mit ihrer halbrunden Vorderfront perfekt an den runden Platz angepasst. Unter ihnen ist auch das berühmte Hotel „Cinema Esther“, welches früher – wie der Name schon sagt – ein Kino war. Heute ist das schicke (und teure!) Hotel auch im Innern mit allerhand Accessoires aus der Bauhaus-Zeit ausgestattet. Wer dort gerne mal eine Nacht verbringen möchte, kann hier (Link!) buchen. Einst glich der Dizengoff-Circle einem von Autos umfahrenen Park, heute ist er eine einzige Großbaustelle. Der Park war über Jahre hinweg einer Brücke für die Fußgänger gewichen. Diese Brücke hatte jedoch das Missfallen der Bürgerinnen und Bürger von Tel Aviv erregt, sodass die Stadt schließlich ein Einsehen hatte und sie wieder abreißen ließ. Nun soll der Dizengoff Circle bald wieder im alten neuen Glanz erstrahlen und mit einem Springbrunnen in der Mitte ganz wie in alten Zeiten daherkommen.

Der Sabbat in Tel Aviv

Nach der Tour überreicht die Fremdenführerin jedem Teilnehmer an der Stadtführung noch einen Stadtplan, auf dem die Route eingezeichnet ist, die wir soeben abgelaufen haben. Es wurde vermerkt, wo welches Bauhaus-Gebäude stand und wie die genaue Adresse des Hauses lautet. Mein Tag im Bauhaus-Zentrum ist jedoch noch nicht ganz beendet. Ich darf noch ein kurzes Gespräch mit dem Gründer des Zentrums, Dr. Micha Gross führen. Wir müssen uns leider ein wenig beeilen, denn ich muss heute noch einen Bus nach Jerusalem erwischen. Es ist Freitag, und am Freitag beginnt eine Stunde vor Sonnenuntergang der Sabbat. Dies bedeutet in Israel: Fast kompletter Stillstand des Öffentlichen Nah- und Fernverkehrs. Bevor sich die jüdischen Familien in ihre Häuser zurückziehen und das gemeinsame Sabbat-Mahl zelebrieren, müssen schnell noch alle Touristen von A nach B geschafft werden. Mit Einbruch der Dunkelheit fahren dann nur noch von Arabern oder Christen betriebene Transportfahrzeuge, und da die Nachfrage ja bekanntlich den Preis bestimmt, sind diese deutlich teurer als ihre jüdischen Geschwister.