Erste Schritte

Am besten lernt man eine Stadt laufenderweise kennen, sagt meine Freundin Thea, mit der ich unterwegs bin, und ich kann ihr nur von ganzem Herzen zustimmen. Ich bin kein Fan von Hop-on-hop-off-Bussen und dergleichen, viel lieber schlendere ich durch die Straßen, entdecke Ecken, von denen kein Reiseführer je schreibt und kehre in das Lokal ein, das ich im Vorbeigehen entdecke und für gut befinde. Auf diese Weise haben Thea und ich gestern sehr leckeren veganen Eintopf (indisch und marokkanisch) gespeist, und heute haben wir in einem netten Café ein riesiges Tablett mit Frühstückselikatessen verschlungen: Kichererbsen auf Paprika, Guacamole, Eggplant-Paste und ein süßer Aufstrich aus nicht näher definierbaren Zutaten.

Begegnungen

Laufenderweise haben wir auch die Bauhaus-Häuser erkundet, diesmal mit etwas mehr Plan und weniger Zufall. Auf dem Stadtplan hatte ich schon vor dem Urlaub Kreuzchen gemacht an den Stellen, an denen Bauhäuser stehen sollten. Diese sind wir heute bei einem großen Spaziergang abgelaufen, haben Fotos aus verschiedenen Perspektiven geschossen und Detailaufnahmen von aufgeplatztem Putz, verrosteten Balkongeländern, moosbewachsenen Rollläden und Baugerüsten aus Holz gemacht. Doch, na klar, die Bauhäuser, die auf meinem Plan verzeichnet waren, waren herausgeputzt und frisch renoviert. Die beherbergen Gaststätten und Hotels, Läden und schicke Wohnungen. Sie sind weiß und beinah unversehrt. Wo sind die Bauhäuser, um die sich keiner kümmert? Denen man ihr Alter von 70 Jahren ansieht? Die dringend renoviert werden sollten? Thea fasste es am Ende des Tages treffend zusammen, als sie sagte: Ich glaube, an 95% der Bauhäuser sind wir heute vorbeigelaufen, ohne sie zu bemerken. Dabei hatten wir beide uns innerhalb weniger Stunden zu Profis gemausert. Mit gekonntem Blick scannten wir die Häuser, untersuchten sie auf Funktionalität, gerade Linien und geschwungene Balkone. Immer wieder sagte eine von uns: Ou, das könnte wieder eins sein. Ja, könnte. Fleißig notierten wir uns die Adressen, um hinterher herauszufinden, ob es sich tatsächlich um ein Bauhaus gehandelt hat.

Auf unserem Rechercherundgang durch die Innenstadt treffen wir den Besitzer eines Design-Geschäfts nahe des Rothshild-Boulevards. Ein Weltenbummler, der von Reisen nach Indonesien, die Kanaren und Italien immer wieder Designermöbel und ungewöhnliche Gebrauchsgegenstände mitgebracht hat und diese nun in einem stilvollen Ambiente verkauft. Er bietet uns Espresso an, wir quatschen. Zwar sei er in Tel-Aviv geboren, habe dann jedoch nicht wirklich lange hier gewohnt. Stattdessen lebte er jahrelang in Italien oder auf einem Boot vor den Kanaren. Nun ist er seit 25 Jahren wieder in seine Heimat zurückgekehrt, verreist aber weiterhin häufig nach Europa und Indonesien. Jakarta sei seine zweite Heimat, erzählt er uns – die Leute dort seien so nett, freundlich und unkompliziert. Indonesisch sei nicht schwer zu lernen; in der Sprache gibt es keine vier verschiedenen Fälle, keine Zeiten, noch nicht mal den Plural. Wer ausdrücken möchte, dass er von etwas mehrere haben möchte, sagt das Wort einfach zwei Mal. „The most stupid language of the world“, lacht er. „Ich mag Europa nicht mehr“, vertraut er uns dann an. „Alles dreht sich um Jobs, um Geld, um Schein, nicht um Sein. Die Echtheit der Indonesier ist mir da wesentlich lieber.“ Schade nur, dass all die Echtheit in der Dritten Welt gerade verschwindet, stellt er fest. In 25 Jahren wird es nicht mehr so viele Sprachen geben, nicht mehr so viele traditionelle, landeseigene Produkte. Schon heute gibt es in so ziemlich jedem Land der Welt einen McDonalds, in Israel gebe es zwei der größten Ikeas der Welt. Was, wenn das so weitergeht? Wenn alles Individuelle im großen Gleichmachertum des Kapitalismus untergeht?

Und so geht’s weiter…

Morgen werden wir Chen treffen, eine junge Architektin aus Tel Aviv, die selbst ein Bauhaus bewohnt. Sie vermietet ihr Zimmer oft über airbnb und bewirbt es auf der Plattform mit den Worten: „Bauhaus-Experience at it’s best! Ich will sie fragen, welche Reaktionen das bei ihren Gästen hervorruft, was sie sich von dieser Werbung erhofft und wie sie selbst es findet, in einem Bauhaus zu wohnen.

Danach habe ich ein Treffen mit Eren Neuman vereinbaren können, Professor für Architektur an der Uni in Tel Aviv. Hoffentlich klappt alles – ich habe seit Wochen nichts mehr von ihm gehört und kann nur hoffen, dass er morgen zur besagten Zeit am besagten Ort ist. Von ihm werde ich einiges über den berühmten Architekten Arieh Sharon erfahren, der am raschen Aufbau von Tel Aviv maßgeblich beteiligt war.